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Hollywood im Itzgrund

Schauspieler Ottfried Fischer steht in der östlichsten Pfarrei der Diözese Würzburg als Pfarrer Braun vor der Kamera – Aufwändige Produktion für die ARD – Limo im Stehen und Schnee im Sommer

Mürsbach (POW) „Fünf Minuten Pause. Korrekturen!“ Auf den Ruf von Aufnahmeleiter Christoph Hasse hin kommt Bewegung in die gerade noch so beschauliche Pfarrkirche von Mürsbach. Drei Personen schieben den mannshohen Wagen mit der Kamera im Mittelgang zurück. Zwei schlacksige Männer in Sweatshirts und weiten Cargohosen schleppen ein chromblitzendes Stativ heran. Flugs kurbeln sie damit einen mit schwarzen Stoff bespannten Drahtrahmen vor ein Fenster: Das störend grelle Sonnenlicht ist gebannt. Ottfried Fischer lehnt, auf die Unterarme gestützt, auf der vordersten Kirchenbank. Und gähnt.

Kurz vor drei Uhr Nachmittag an einem Märztag. Schon seit drei Tagen ist das 500-Seelen-Dorf vor den Toren Bambergs in Beschlag von Filmemachern. Gleich für zwei neue Folge der ARD-Reihe „Pfarrer Braun“ dreht die Film- und Fernsehgesellschaft Polyphon mit dem Zwei-Meter-Hünen Ottfried Fischer in der östlichsten Pfarrei des Bistums Würzburg. Hollywood an den Ufern des Flüsschens Itz. Ausgestrahlt werden „Pilgertod“ und „Das Erbe von Junkersdorf“ irgendwann im Herbst 2006.

„Verbot für Fahrzeuge aller Art“ verkündet ein Schild in der Auffahrt zum Kirchberg. An ein Durchkommen wäre noch zu denken. Aber wo parken? Mehr als zehn Lkw und Materialbusse stehen in Hofeinfahrten, am Wegesrand und unterhalb des Pfarrhauses. Mittendrin ein bulliger schwarzer Geländewagen mit Münchener Kennzeichen und der Aufschrift „Bischöfliches Ordinariat“ auf den Türen – ein Requisit. Schlauchdicke schwarze Stromleitungen schlängeln sich von einem gedämpft brummenden Stromaggregat zu dem Dutzend Scheinwerfern vor und im Gotteshaus. Unterhalb des Pfarrheims steht ein großer Imbisswagen für die Filmmannschaft. „Heute: Nudeln, Schweinefilet und Frühlingssalate“, verraten große Lettern auf der gläsernen Theke. Dahinter eine üppige Auslage von rund 20 Sorten Aufschnitt-Wurst, verschiedenen Käsesorten, Brot, Brötchen, Orangen, Äpfeln, Salatgurken, Tomaten, Frühstücksflocken und Zigaretten.

Fünf Schauspieler, ein knappes Dutzend Komparsen und rund 30 Mann vom Team – unter anderem zuständig für Licht, Requisite, Kostüme, Maske und Ton – wollen versorgt sein. Die Drehtage können lang werden. „Wir arbeiten mindestens zehn Stunden pro Tag. Länger als fünf Tage sind wir nie am gleichen Ort. Ein bisschen was von Zirkus-Mentalität hat das Ganze schon“, erklärt Regisseur Wolfgang F. Henschel, ein hagerer Typ mit grauem Haar. Seit vierzig Jahren ist er im Geschäft. Mit Fischer dreht er den Bullen von Tölz und Pfarrer Braun. Die beiden verstehen sich blind. Fast beschwörend klingen Henschels leise Anweisungen. Große Worte und umständliches Getue sind nicht sein Ding. Ein prüfender Blick auf den tragbaren Bildschirm in seiner Hand. „Otti, deine Schulter ist noch zu sehen“, ruft der Regisseur vom Kirchenschiff aus in Richtung Chorraum, wo Fischer an den Tasten seines Handys hantiert. „Ton ab!“

Vor der nächsten Einstellung klopft der Requisiteur dem Mürsbacher Pfarrer Stefan Gessner auf die Schulter: „Brennt die große Kerze da vorne im Normalfall?“ „Nein, das ist die Osterkerze“, erklärt der Geistliche, der in einer Kirchenbank sitzt und die Arbeiten beobachtet. Immer wieder ist an diesem Tag sein Sachverstand gefragt. Glaubwürdigkeit wird groß geschrieben bei der Produktionsfirma Polyphon.

Während sich in der Kirche der Regisseur mit Fischer und Schauspielerin Christiane Blumhoff zusammensetzt, um die nächste Szene zu besprechen, füllt sich der Kirchvorplatz. Der Schneeregen hat aufgehört und die Schaulustigen kommen. Gut ein Dutzend hat sich schon versammelt: Frauen mit Kleinkindern auf dem Arm, ein Rentner mit Wanderstock, ein fotografierwütiger Tarnanzug mit Digitalkamera. „Des hat scho’ was, oder? Dreharbeiten und den Fischer einmal live erleben!“, sagt eine Mittvierzigerin mit Fransenfrisur und Hornbrille. Acht Kilometer Anreise aus der nahen Stadt Ebern ist’s ihr wert. „Ich hol mir ein Autogramm“, verkündet forsch ein Dreikäsehoch im Bayern-Trikot. Seine Mutter kriegt ihn gerade noch an der Kapuze des Anoraks zu fassen. „Achtung, Ruhe bitte“, ruft ein Set-Assistent der quirligen Menge auf dem Kirchplatz zu.

Im Gotteshaus verlegt derweil das Kamerateam zwei lange Teppiche im Mittelgang und platziert darauf zwei graue Kunststoffrohre: die Schienen für die Kamerafahrt in Richtung Opferkerzen. „Wär’s nicht besser, ich tue so, als höre ich das Opfergeld im Kasten klimpern und komme dann ums Eck?“, schlägt Fischer dem Regisseur vor. Der nickt, und der Probelauf beginnt. „Ausgezeichnet!“, lobt Henschel, der den Dialog auf dem Mini-Bildschirm seines Watchmans verfolgt hat. Der 16-Milimeter-Film in der Kamera beginnt zu surren, Klappe, und die Action geht los. Gut eine halbe Minute später beendet der Regisseur mit dem Ruf „Kopieren!“ die Einstellung. Der Umbau für die nächste Szene kann beginnen.

Insgesamt zwei Filmrollen von elf Minuten Spieldauer belichtet das Filmteam im Durchschnitt pro Tag. In der Fernsehfassung werden daraus etwa viereinhalb Minuten zusammengeschnitten. Das gilt in Fachkreisen als sehr produktiv. Nicht immer kann Henschels Team diese effektive Aufwand-Nutzen-Relation einhalten: Tags zuvor musste Aufnahmeleiter Hasse den Kirchvorplatz von dickem Schnee räumen lassen, der unerwartet an diesem Märztag gefallen ist. Wenn kein Sommer ist, muss eben Sommer gemacht werden. Dann zählt jede Hand, die mit anpackt. Ansonsten gilt für viele im Team: Abwarten und auf den nächsten Einsatz warten. So wie die Gruppe von Rauchern aus dem Team. Sie sitzen auf den steinernen Treppenstufen und sehen gespannt zum Kostümassistenten mit den gezupften Augenbrauen auf. Der öffnet flink ein in schillerndes Papier verpacktes Päckchen. „Lecker“, ruft die Meute und verputzt die angebotenen Pralinen in Windeseile.

Kurz nach Fünf darf auch Ottfried Fischer mal wieder an die Frischluft. Während sich die Blumhoff vor dem Kirchentor eine Zigarette anzündet, instruiert der Regisseur die zwei Schauspieler. Dann trottet der Koloss im Priestergewand die Stufen hinunter, wo unter einem Zeltdach die Getränkebar steht. In hastigen Schlucken trinkt Fischer den Becher mit Limonade aus und sieht dabei auf seine Uhr. Halbzeit für heute – schnell zurück in die Kirche.

Markus Hauck (POW)

(1106/0414)

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