Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Im Gespräch

Plädoyer für eine geerdete Spiritualität

Moraltheologe Rosenberger: „Nicht alles, was früher einmal hilfreich war, muss es heute noch sein“

Würzburg/Linz (POW) „Was der Seele Leben schenkt. Spiritualität aus Erde“ heißt das jüngste Buch von Professor Dr. Michael Rosenberger, Priester des Bistums Würzburg und Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz. Im folgenden Interview erklärt er, was er unter „Spiritualität aus Erde“ versteht, und sagt, warum es sich lohnt, einige christliche Traditionen kritisch zu hinterfragen.

POW: Herr Professor Rosenberger, in Ihrem jüngsten Buch plädieren Sie für „eine Spiritualität aus Erde“. Was ist darunter zu verstehen?

Professor Dr. Michael Rosenberger: Ich meine damit eine Spiritualität, die sich vorwiegend aus den Kräften und Begabungen speist, die dem Menschen als Menschen geschenkt sind. Die meisten verstehen unter Spiritualität etwas Abgehobenes, Weltfernes oder auch etwas, was vor allem von dogmatischen Lehren lebt. Dagegen möchte ich die „Spiritualität aus Erde“ so verstehen, dass sie nach den ganz natürlichen Ressourcen fragt, die jedem Menschen offenstehen, und diese zu heben versucht. Ein Beispiel: Es ist für jeden Menschen, auch für einen Atheisten, eine Kraftquelle, am Abend eine Viertelstunde auf den Tag zurückzuschauen und ihn in der eigenen Phantasie noch einmal nachzuerleben, Stunde um Stunde, Ereignis um Ereignis. Da wird man auf vieles aufmerksam, was man während des Tages gar nicht richtig auskosten konnte, weil ein Ereignis dem nächsten folgte. Man entdeckt, wie reich und schön der Tag war, aber auch, was er an Schmerzlichem hatte. Wir Christinnen und Christen können dann Gott danken und ihm unsere Sorgen anvertrauen. Aber auch der Atheist kann seinen Tag auf diese Weise bewusster erleben und schließlich verabschieden. Das Ritual als solches ist nicht vom christlichen Glauben abhängig.

POW: Wie viel der tradierten Lehre und Bräuche können wir aus dem Christentum streichen, ohne den Kern zu verlieren? Und welche Kriterien erachten Sie in diesem Zusammenhang für entscheidend?

Rosenberger: Die Frage enthält schon die Antwort: Den Kern, also vor allem das, was wir im Glaubensbekenntnis bekennen, können wir absolut nicht streichen. Aber 2000 Jahre Tradition haben dem Kern des Christentums eine dicke Schale hinzugefügt, durch die wir oftmals kaum noch zum Kern vorstoßen können. Und wenn das der Fall ist, dann ist die Schale hinderlich und sollte weggenommen werden. Das Zweite Vatikanische Konzil hat in diesem Sinne schon viel getan. Aber mitten auf dem Weg wurde dieser Prozess abgebrochen. Wir erschöpfen uns noch immer viel zu sehr in Äußerlichkeiten. Dabei meint Spiritualität Innerlichkeit: Ich reise in mein intimstes Inneres, denn dort begegne ich Gott, dem verborgenen Geheimnis meines Lebens. Um mich auf diese Reise zu begeben, brauche ich viele Bräuche und Traditionen nicht, die wir in der Kirche entwickelt haben. Viele von ihnen hatten vor Jahrhunderten eine wichtige Bedeutung. Aber nicht alles, was früher einmal hilfreich war, muss es heute noch sein.

POW: Inwiefern hat Sie für das Buch auch die aktuelle Corona-Pandemie inspiriert?

Rosenberger: Ich muss Sie enttäuschen: gar nicht. Denn das Buch war bereits fast fertig geschrieben, als Corona begann. Von der Fertigstellung eines Manuskripts bis zum Druck des Buches ist es ja noch ein langer Weg. Ich finde Ihre Frage aber durchaus treffend, denn in der Tat glaube ich, dass das Buch jetzt in der Corona-Zeit ein Volltreffer ist – ohne dass ich es ahnen konnte. Es leitet Menschen an, sich zu fragen, aus welchen Kraftquellen sie leben. Und es gibt viele Hinweise, welche Kraftquellen da in Frage kämen und wie man die sehr praktisch für sich erschließen kann. Das ist in den Monaten der Pandemie eine absolut passende Überlegung.

POW: Braucht es, wenn man Ihre Ausführungen ernst nimmt, vielleicht knapp 60 Jahre nach dem Zweiten Vatikanum ein neues Konzil?

Rosenberger: Das Konzil hat uns viel mehr Hausaufgaben gegeben als die, die wir schon erledigt haben. An sich bleibt noch eine Menge zu tun, um das Konzil wirklich ganz abzuarbeiten und zu verwirklichen. Allerdings gibt es ein paar Fragen, die uns wie ein Mühlstein um den Hals hängen und die das Konzil noch nicht stellen konnte – dafür kam es ein wenig zu früh. Ich meine die bekannten heißen Eisen wie die Frauenfrage oder die Sexualmoral. Um diese Fragen zu lösen wird es wohl das Gewicht eines neuen Konzils brauchen, weil ansonsten die Einheit der Kirche auf dem Spiel steht. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ein Konzil im Jahr 2021 diese Fragen so entscheiden würde, wie wir uns das in Mitteleuropa mehrheitlich wünschen. Vor allem wenn man daran denkt, dass ein Konzil bislang nur von männlichen Bischöfen entschieden wird. Aber der Heilige Geist wird seine Wege finden!

Michael Rosenberger: Was der Seele Leben schenkt. Spiritualität aus Erde. Echter-Verlag, Würzburg 2020, 216 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-429-05590-5.

Interview: Markus Hauck (POW)

(0421/0098; E-Mail voraus)

Hinweis für Redaktionen: Fotos abrufbar im Internet